Neoformalismus und Animationsfilm

Mise-en-Scène im Animationsfilm

Hinsichtlich der Mise-en-Scène unterteilt Furniss diese in die Punkte „Image Design“, „Colour and line“ und „Movement and kinetics“.

Image Design
Der erste Analyseschwerpunkt hinsichtlich der Mise-en-Scène liegt im sogenannten „Image Design“. Hierbei macht sie zunächst zwei zu analysierende Kategorien, Figuren und Hintergründe, aus:

„In the majority of animted works, images can be discussed in two categories: characters and backgrounds. These areas are roughly differentiated by movement and centrality to the viewing experience“ (Furniss 1998, 66).

Zu diesen beiden grundsätzlichen Kategorien arbeitet Furniss anschließend einzelne Merkmale heraus. Mit Bezug auf Scott McCloud und Figuren im Animationsfilm verweist Furniss auf drei generelle Darstellungsformen; die fotorealistische, die ikonische und die abstrakte Darstellungsform:

„Using a human face as an example, these terms would be illustrated by a drawing that comes close to photo of a human face in its realism (photorealistic); a sign that clearly represents a human face but does not look realistic, such as a smiley face (iconic); and the total refiguring of a human face into mere suggestion of its form (abstract)“ (Furniss 1998, 66; Herv. v. C.K.).

Durch diese Darstellungsmodi würde im Wesentlichen auch das Identifizieren und Wiedererkennen von Charakteren bzw. Figuren ermöglicht. In diesem Sinne folgt Furniss daher zum einen dem neoformalistischen Grundgedanken der Verfremdung auf der einen Seite und dem des Wiedererkennens auf Grund der Erfahrungen des Zuschauers auf der anderen:

„Although personality animation often is used in discussing groups of relatively similar characters who are differentiated, the general concept of ‚personality‘ is of importance when any character is analysed. […] Viewers are able to identify with characters who have distinct and appealing personality that reminds us of someone we know (perhaps ourselves) or provides an idealised model of someone we would like to be“ (Furmiss 1998, 68).

Hinsichtlich der Bildhintergründe, stellt Furniss im Rückblick fest, dass diese auf Grund des technischen Fortschritts komplexer gestaltet werden können:

„As mentioned previously, backgrounds play a very important part in the aesthetics of many animated work. During the early years of animation history, backgrounds were kept to a minimum to avoid problems of retracing but, after cels were put into wide usage, more elaborate enviroments started to develop“ (Furniss 1998, 71).

Mit Blick auf die Analyse eines Animationsfilms müsste daher untersucht werden, wo es Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen agierenden Charakteren und Hintergründen gibt. Dies kann zum einen auf die Darstellungsformen abzielen. Zu Beispiel können ein abstrakter Hintergrund und eine fotorealistische Figur einen starken visuellen Kontrast bilden. Auf der anderen Seite können auch die Detaillierungen von Figuren und Hintergründen, bei gleicher Darstellungsform, untersucht werden. Mit Blick auf die von Bordwell und Thompson formulierte Mise-en-Scène umfasst der Punkt „Image Design“  die Untersuchungsschwerpunkte des Settings, der Kostüme und des Make Ups. Hinsichtlich des Animationsfilms ist jedoch festzuhalten, dass die Analyse auf Grund der Be- bzw. Geschaffenheit des Animationsfilms auf einer viel basaleren Ebene ansetzt. 

Colour and line
Der zweite zentrale Punkt für die Mise-en-Scène bezieht sich auf die Farben und die Linien. Hinsichtlich der Farben arbeitet Furniss drei Dimensionen der Analyse heraus: „hue“, „value“ und „intesity“. Der Begriff „hue“ bezeichnet hierbei das Farbspektrum und bezieht sich auf primäre, sekundäre und tertitiäre Farben:

„The term ‚hue‘ refers to intervals in the colour spectrum that are known as violet, blue, green, yellow, orange and red. These hues are divided into primary, secondary and tertiary colours depending on the way they derived“ (Furniss 1998, 72).

Mit „Values“ sind alle Werte zwischen schwarz und weiß gemeint. Insofern verweist Value auf die relative Helligkeit bzw. Dunkelheit eines Bildes und seiner Elemente. Die Intensität dagegen verweist auf die Sättigung der Farben (vgl. Furniss 1998, 72). Durch diese Dimensionierung, welche an sich an der Produktionsweise des Animationsfilms orientiert, werden die bei Bordwell und Thompson hervorgehobenen Punkte des Lightning (Mise-en-Scène) und der Farben (Kinematographie) verbunden.

Zudem sind neben den Aspekten der Farbgebungen auch die Linien als Grenzen einzelner Elemente von Figuren, Gegenständen und Hintergründen von Bedeutung. Durch die Linienstärke können Elemente und Attribute hervorgehoben werden. Wenn beispielsweise mit dicken Linien gearbeitet wird, so kann man physische Stärke hervorheben, wogegen dünne Linien für die Visualisierung des Grazilen oder Details eingesetzt werden können (vgl. Furniss 1998, 75). Farben und Linien sind daher für Furniss bedeutungskonstituierend.
Durch dicke Linien wird im Film Sisypus (Marcell 1974), die Stärke der gleichnamigen Figur visualisiert.
Im Film Britannia (Quinn 1993) sind die Striche filigraner und erhöhen die Detaillierung der Figuren und Objekte.
Movement and kinetics
Der dritte Analyseschwerpunkt der Mise-en-Scène bezieht sich auf die Bewegungen im Bild und somit direkt auf den Begriff der Animation:

„Animation is the art of creating movement, generally employing inanimate objects but sometimes through the use of live figures whose movements are posed on a frame-by-frame basis. In any case, the characteristics of created movements can vary significantly: an object can move fluidly and rhythmically; in short incremental bursts; slowly and hesitantly (as if working against gravity); or in a multitude of other ways that all suggest meaning to the viewer“ (Furniss 1998, 76).

Bewegungen sind in diesem Sinne das zentrale Element des Animationsfilms und folgen einer anderen Logik als der live-action-Film. Grundsätzlich unterscheidet Furniss zwei Methoden um Animationen zu realisieren. Zum einen gibt es die „Inbetween“-Methode, welche Furniss folgendermaßen beschreibt:

„Most commonly, animators work in what is called the ‚pose-to-pose‘ method, which means that the most significant ‚key poses‘ in a sequence of movements are drawn first, so that the ‚inbetween‘ poses that make up the action can be filled in later, by an assistant or ‚inbetweener‘ on the staff“ (Furniss 1998, 76).

Daher wird die Animation anhand von Schlüsselposen erstellt, welche schließlich verbunden werden. Auf der anderen Seite gibt die „straight-ahead“-Methode, welche von Frame zu Frame animiert:

„However, another well-known method is ‚straight-ahead‘ animation, meaning that every drawing is rendered on the order in which it will be shot. This style is associated with the modified-base technique, 3D animation, and any other animated production where movements are created under the camera in the order they occur; of course cel or drawn animation can be created in this manner as well“ (Furniss 1998, 76).

Die „straight-ahead“-Methode ist daher spontaner als die Inbetween-Methode, da sich die Sequenzen schwerer kontrollieren lassen. Insofern resümiert Furniss, dass ein hierbei ein sorgfältiges Storyboard oder andere Formen der Dokumentation wichtig seien. Auf der anderen Seite habe man durch die Inbetween-Methode mehr Kontrolle über die Animationen. Insofern eigne sie sich für größere Produktionen mit mehreren Zeichnern (vgl. Furniss 1998, 76).

Einen besondere Herausforderung hinsichtlich der Bewegungen im Bild ist nach Furniss die Bewegung im Raum. Sei die Bewegung auf der x- und der y-Achse relativ problemlos, da keine starken Änderungen an einer Figur vorgenommen werden müssten, sei die Bewegung auf der z-Achse, also in die Tiefe des Bildes schwierig, da die Figur hinsichtlich ihrer Bewegung skaliert werden müsse (vgl. Furniss 1998, 78). Eine, vor allem von Disney, verwendete Technik sei es daher, mit verschiedenen Ebenen zu arbeiten, welche sich unterschiedlich schnell bewegen (die sog. „multiplane camera“) (vgl. Furniss 1998, 78f). 

Hinsichtlich der Bewegung des Bildes konstatiert Furniss, dass es im Animationsfilm notwendig sei, statische Bilder zu vermeiden; insofern sei eine konstante Bewegung im Bild eine Notwendigkeit (vgl. Furniss 1998, 79). Um dies zu gewährleisten haben sich verschiedene Techniken entwickelt, welche vor allem auch vor dem Hintergrund der Kostenersparnis zu verstehen seien. Als Beispiel nennt Furniss das sogenannte „cycling“, also die zyklische Wiederholung einer Bewegung. Hinsichtlich der Differenz zum live-action-Film erklärt Furniss:

„In real life, living beings are never completely still because bodily functions such as breathing and heartbeats cause at least minute amounts of movement at all times. Seeing a animated figure that is completely still – that is, to see a single image that is photographed for more than, say, half a second – might strike the viewer as being unrealistic. Most animation contains motion, even if only at the level of blinking eyes and moving lips, or camera movement across a still background“ (Furniss 1998, 80).

Mit Blick auf die neoformalistische Filmanalyse nach Bordwell und Thompson umfasst der Punkt „Movement und kinetics“ zum einen das staging, welches auch mit dem Begriff des Movements arbeitet. Jedoch bezieht sich der Begriff des Movements bei Furniss auf die Logik, dass Bewegungen erst zwischen den Frames entstehen und grundsätzlich künstlich sind, während der live-action-Film von Natur aus in Bewegung ist. Insofern spielt auch die räumliche Tiefe und die Bewegungen in dieser eine zentrale Rolle. Das Framing und die Tiefeneffekte, bei Bordwell und Thompson der Kinematographie zugeordnet, sind daher in diesem Punkt auf Grund der Beschaffenheit des Animationsfilms wiederzufinden.

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